Donnerstag, 19. Dezember 2013

„Wir sind wie gallische Dörfer“ - Zu Besuch im Pflegestützpunkt Nürnberg


Den Pflegestützpunkt Nürnberg gibt es seit über einem Jahr. Er berät neutral und kostenfrei. Trotzdem ist er kaum bekannt. Viele Menschen wissen nicht, dass sie dort Hilfe bekommen.

Walburga Dietl, Leiterin des Pflegestützpunkts Nürnberg
Frau Dietl, mit welchen Problemen kommen die Menschen zu Ihnen?

Dietl: Die Betroffenen kommen häufig, um sich über die Finanzierung beraten zu lassen – also das Zusammenspiel von Pflegeversicherung und eigenem Anteil. Zudem geht es oft um die Auswahl von Pflegeheimen und die Entlastung bei der ambulanten Pflege. Denn die meisten Menschen möchten zu Hause bleiben.

Pflegestützpunkte sind also für die Beratung zuständig…
Ja, das ist richtig. Wir beraten zu Pflegende und deren Angehörige in allen Fragen rund um Pflege und Hilfe im Alter. Dabei verstehen wir uns als eine Art Lotsendienst durch den Dschungel der Gesetze und Pflegeangebote.



Wie funktioniert das?
Wir erstellen Informationen, entwickeln gemeinsam mit den Betroffenen Ideen und helfen bei der Entscheidungsfindung. Wenn sich jemand alleine nicht mehr helfen kann und keine Angehörigen hat, gibt es noch die sogenannte Fallbegleitung mit Versorgungsplan. In diesem Fall kümmert sich ein Pflegeberater um einen exakten Plan und koordiniert den Prozess, bis eine Lösung gefunden ist: Der Versorgungsplan.

Die Menschen kommen also meistens persönlich bei Ihnen vorbei?

Ganz im Gegenteil – Die meisten Beratungen finden telefonisch statt. Das hat einen ganz einfachen Grund: In der Anonymität der Telefonate kann man sehr schnell und intensiv fragen. Schon nach dem dritten oder vierten Satz können Fragen, wie ‚Ihre Stimme klingt sehr gedrückt, kann es sein, dass Sie eine Depression haben‘, gestellt werden. Im persönlichen Gespräch braucht man dafür mindestens 20 Minuten. Wenn die Situation allerdings sehr komplex ist, macht eine persönliche Beratung durchaus Sinn.
Die Altenpflegerin und Betriebswirtin hat bereits ein Pflegeheim geleitet

Ist es manchmal deprimierend?
Nein, eigentlich nicht. Die Situation ist so, wie sie ist. Wenn wir uns da deprimieren lassen, wird es schwierig. Wir sind dafür da, Lösungen zu finden und darüber sind die Leute meistens auch sehr dankbar. Das ist das Schöne: Wir haben das Gefühl, helfen zu können.

Helfen Sie auch Menschen aus dem Nürnberger Umland? 
Das ist leider schwierig. Zu denen sage ich: ‚Gehen Sie zu ihrem Landrat und sagen, er soll doch auch ein Pflegestützpunkt errichten.‘ Denn für das Care-Management ist es wichtig, die Angebote vor Ort sehr genau zu kennen. Wir sammeln zu allen Heimen in Nürnberg Informationen über die Preise, Besonderheiten und freie Plätze und legen Dateien an. Kommt nun jemand aus dem Umkreis fehlen uns diese Details und wir können nur allgemein beraten.

Bewerten Sie die Angebote vor Ort?

Nein, das ist ganz heikel. Es gibt eine Bewertung über den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung und die Heimaufsicht. Wir helfen den Leuten bei der Interpretierung dieser Bewertungen.

Der Medizinische Dienst der Krankenkassen nimmt ja auch die Einstufung vor. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht? Wir haben bisher gute Erfahrungen gemacht. Im Einzelfall gibt es schon ab und an Probleme. Aber wenn man sich die Gutachten ansieht, dann wird deutlich, dass es häufig an der mangelnden Vorbereitung gelegen hat. Genau dort können wir helfen. Denn wir informieren die Leute, wie man sich vorbereiten muss, z.B. mit Unterlagen oder einem Pflegetagebuch. Wenn die Betroffenen geschult werden, gibt es keine Probleme.

Wie stehen Sie neuen Projekten gegenüber? Wir sind in Nürnberg mit Modellprojekten schon etwas überlaufen. Wir brauchen keine Erkenntnisgewinne, sondern eine Umsetzung und Finanzierung. Und genau da liegt das Problem. Denn am Ende sollen die Projekte ja auch beständig sein.

Sie sehen also Handlungsbedarf in der Pflege. Wie kann das Berufsfeld attraktiver werden?
Ich weiß es nicht. Es hängt am Image, dem Dreischichtbetrieb und der Bezahlung. Und wo kann man da ansetzen? Da hat eigentlich ein einzelner Träger wenige Möglichkeiten. Zumal er keine Tarife erhöhen kann. Ich denke es wird eine Imagekampagne zur Ausbildungsförderung von Bund und Ländern geben. Aber die wird verhallen, solange die drei Punkte nicht funktionieren.

Vielleicht ist auch ein Punkt das Sozialversicherungssystem…Ich sehe keine Alternative zu unserem derzeitigen Sozialversicherungssystem. Ich denke ein guter Weg ist es, Seniorennetzwerke zu schaffen. Diese sind kleinräumiger, weil sie nicht auf die ganze Stadt ausgerichtet sind, sondern auf Quartiere. Die Seniorennetzwerke sind für die Infrastruktur im Quartier da. Das heißt sie sorgen für Begegnungsstätten, achten auf Prävention und sorgen dafür, dass soziale Kontakte hergestellt werden. Sie bauen Nachbarschaftshilfe auf.

Vor dem Thema Pflege sollte man also nicht die Augen verschließen. Aber wann ist der richtige Zeitpunkt, sich darum zu kümmern?
Das ist schwierig zu beantworten. Generell sollte man rechtzeitig – also bevor man pflegebedürftig wird – über ein paar Dinge nachdenken. Das sind zum einen Vollmachten und eine altengerechte Wohnung. Zum anderen aber auch eine Auswahl der Personen, die sich um einen kümmern sollen. Einen Pflegedienst oder ein Pflegeheim wird erst in dem Moment relevant, wo der Bedarf da ist. Wichtiger ist es, zu definieren, wie man leben möchte.

Wie möchten Sie im Alter leben?
Das weiß ich noch nicht. Ich sorge ganz gut vor und habe mittlerweile auch eine altengerechte Wohnung. Die Leute vergessen oft, die sozialen Kontakte zu pflegen. Das ist aber sehr wichtig. Denn wenn diese Netzwerke funktionieren, kann man relativ lange zu Hause bleiben. Wenn Menschen allerdings vereinsamen und immer auf Profis angewiesen sind, wird es teuer und ist manchmal überhaupt nicht realisierbar. Wichtig ist für mich: Prävention, Geld, die Wohnsituation und das soziale Netzwerk. Mehr kann man eigentlich nicht machen.

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